Freitag, 24. Mai 2013

Schokohexe

Seit dem Umzug habe ich mein Büro in einem Gebäude des Kinderdorfes. Früher war hier eine Kinderdorffamilie drin und neulich kamen zwei der ehemaligen Bewohner gucken: die Erzieherin Manuela und der kleine Andi*. Sie schauten sich begeistert um, was aus ihrer Wohnung so alles geworden war - lauter Büros und Besprechungsräume - und zogen dann fröhlich wieder ab.
Ein paar Minuten später stand Andi wieder in der Tür, eine Schachtel in der Hand. Manuela hatte wohl im Nachbarbüro noch etwas zu besprechen und er musste warten. Er streckte mir die Schachtel entgegen: "Spielst du mit mir 'Schokohexe'?"
Selten habe ich so bedauert, zu einem Termin zu müssen, wie in diesem Moment, aber ich hatte wirklich keine Zeit. Ich glaube, ich war enttäuschter als der Knirps, dass ich ablehnen musste.
Aber diese Begegnung hat mich auf die Idee gebracht, ein Glas mit verschiedenen Sorten Bonbons auf meinem Schreibtisch aufzustellen. Wenigstens will ich jedem Kind, das mich besucht, etwas anbieten können. Seither hat sich gezeigt, dass auch Erwachsene gelegentlich eine solche Stärkung gerne annehmen - Kinder natürlich sowieso.
Eben kam Thomas* von der benachbarten Tagesgruppe, den ich vor zwei Tagen kennengelernt habe. Er ist etwa 12 Jahre alt, hatte heute einen Freund mitgebracht und beide erzählten mir ein bisschen von sich. Ich war gerade dabei, Kopierpapier zu bestellen und die beiden fingen an, mit mir über die Vor- und Nachteile von Recyclingpapier zu diskutieren. Schließlich schlug Thomas vor, ich sollte ein Paket zur Probe bestellen, den Vorschlag fand ich gut und die beiden gingen zufrieden ihre Bonbons lutschend ihrer Wege.

*Namen geändert

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