Das Lied "Ermutigung", das Wolf Biermann im Bundestag gesungen hat, war eins der ersten, das ich auf der Gitarre gespielt habe. Nicht dass ich mit 14 schon sonderlich politisch interessiert gewesen wäre, eher im Gegenteil: es war einfach in einem meiner Liederbücher drin und klang schön nach Protest (das hat man in der Pubertät ja immer mal gerne). Verstanden habe ich es damals nicht wirklich und auch die Person Wolf Biermann sagte mir nicht viel.

Geändert hat sich das eigentlich erst 1996. Damals kam das Buch "Abgehauen" von Manfred Krug heraus. Den kannte ich gut aus dem Fernsehen, v.a. aus der Anwaltsserie "Liebling Kreuzberg". Jetzt erfuhr ich zu meinem großen Erstaunen, dass Krug 1977 aus der DDR in den Westen gekommen war. Er war dort nicht nur Schauspieler sondern auch Sänger gewesen, und noch wesentlich populärer als hier. Aber dann war 1976 Wolf Biermann ausgebürgert worden.
Manfred Krug hatte als einer von etwa 70 Künstlern schriftlich gegen diese Ausweisung protestiert und war selber ins Visier der Stasi geraten. Nach Biermanns Ausbürgerung und dem Protest dagegen, hat Manfred Krug ein Jahr lang kein Engagement mehr bekommen. Er stellte einen Ausreiseantrag, ein bisschen trotzig, aber auch schweren Herzens, denn eigentlich wollte er nicht weg. Bei normalen Menschen bedeutete so ein Antrag meist Gefängnis, aber Krug war zu berühmt. Sie ließen ihn gehen. Das alles erfuhr ich aus "Abgehauen", dem Buch und seiner Verfilmung.
Von dieser Seite habe ich mich Wolf Biermann genähert. Ich dachte damals, was für ein seltsames Land die DDR gewesen sein muss: da kommen Menschen begeistert aus dem Westen (Biermann aus Hamburg, Krug aus Duisburg). Sie träumen von einer gerechteren Welt, von sozialer Gleichheit; Biermann war sogar Kommunist. Doch sobald sie anfangen, das System zu kritisieren, werden sie unter Druck gesetzt oder ausgewiesen. Gleichzeitig versuchten immer wieder Menschen, aus diesem Land zu fliehen - und landeten dafür im Gefängnis oder wurden sogar erschossen. So viel Leid - nur weil die Ideologie nicht stimmte.
Und jetzt steht dieser Wolf Biermann im Bundestag des wiedervereinten Deutschland, 25 Jahre nach dem Mauerfall und singt ein Lied, das er ein Jahr nach seiner Ausbürgerung schrieb. Er beschimpft die Abgeordneten der Linken wüst als "Drachenbrut" und als "elenden Rest von dem, was endlich überwunden ist", mit einem Zorn, der in diesem Vierteljahrhundert kein bisschen abgekühlt zu sein scheint.
Ich wünsche den vielen Opfern des DDR-Regimes, den Biermanns und Krugs, den Angehörigen der Mauertoten, dass ihre Wunden endlich heilen. Ich wünsche und hoffe, dass die Nachkommen der SED sich vor allem innerlich aber dann auch äußerlich klar von den Verbrechen ihres Ursprungs lossagen. Es wäre auch nicht schlecht, wenn sie den Opfern mal bereitwillig zuhören würden, weil sie sie ernst nehmen, auch wenn sie persönlich keine Schuld tragen.
Aber vor allem wünsche ich unserem Land zum 25jährigen Gedenken des Mauerfalls, dass dieser Tag ein Jubiläum sein möge, ein Jubeltag. Spürt ihr noch die Spannung und Angst, als noch nicht klar war, ob in die Montagsdemonstration geschossen werden würde? Könnt ihr euch noch erinnern, wie wir vor Freude geweint haben, als die ersten Trabbis über die Grenze fuhren? Wisst ihr noch, wie sensationell das war, dass plötzlich Menschen auf der Mauer standen - am Brandenburger Tor? Wildfremde Leute lagen sich lachend in den Armen - erinnert ihr euch? Ich will diese Gefühle nicht vergessen und hoffe, dass sie tief im kollektiven Gedächtnis unseres Volkes verankert werden und dass wir sie den nächsten Generationen weitergeben.