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Freitag, 24. Juli 2015

Priestermangel

Zölibatversteher, Teil 5
"Ohne den Zölibat hätten wir genug Priester!"
Dieses Argument kommt immer wieder, und - zugegeben - die Vermutung liegt nahe. Wenn die Rahmenbedingungen bei einem Job schwierig sind und irgendwann zu wenig Leute diesen Job machen, dann ist die Versuchung groß, die Bedingungen zu vereinfachen.
Aber ist das auch richtig? Und zwar meine ich "richtig" hier in doppelter Bedeutung:
1. Stimmt das überhaupt? 
2. Wenn es stimmt, ist es dann auch wahr und gut? 
Zu 1) muss ich zugeben: ich habe es nicht überprüft. Ich kenne keine Untersuchung darüber, ob z.B. die Zahl der evangelischen Pfarrer im Verhältnis zur Zahl der Gläubigen höher ist. Ich weiß auch nicht, wie viele ernsthafte Priesteramtskandidaten kurz vor der Weihe abspringen, weil sie sich den Zölibat nicht zutrauen. Oder so. Insofern bleibt dies eine Spekulation. 
Zu 2) gibt es schon Sinnvolleres zu sagen. 
Mal angenommen, wir hätten mehr Priester. Was wäre denn dann anders? Natürlich, überall stöhnen die Gläubigen, weil der Pfarrer überhaupt keine Zeit mehr hat und kaum noch eine Messe ist und die Seelsorgseinheiten immer größer werden - was soll also diese Frage? Ich meine es aber ernst: was wäre anders? 
Ich weiß, dass gerade alte Menschen oft das Bedürfnis nach der täglichen Messe haben und gleichzeitig die Wege nicht mehr schaffen. Aber kann die Lösung darin bestehen, dass die Priester rumflitzen und eine Minimesse nach der anderen zelebrieren? Oder müssten wir nicht eher lernen, das Sakrament neu zu entdecken? Wir alle können miteinander Gottesdienste gestalten und feiern. Die "Wort-Gottes-Feier" sollte keine Notlösung sein, sondern eine Chance für die Gemeinde, intensiv miteinander Gott zu preisen und sein Wort zu betrachten. Die Eucharistiefeier kann dann wieder etwas ganz Besonderes werden, wo es um ein anderes Geheimnis geht. Und gerade wir in den Klöstern sollten die eucharistische Anbetung pflegen und denen zugänglich machen, die dieses Sakrament vermissen.
Andere Frage: müssen die Priester die ganze Verwaltung machen? Dem Vorstand des Altenheims, des Kindergartens, des Krankenhauses vorsitzen? Muss der Pfarrer an fünf Abenden in der Woche in irgendwelchen Gremien rumsitzen? Ich übertreibe ein bisschen - aber nur ein bisschen. Es gibt viele Aufgaben, die unsere Pfarrer von der Sache her eigentlich gut an kompetente Laien delegieren könnten. Manchmal dürfen sie es rechtlich nicht, manchmal wollen sie es persönlich nicht, manchmal findet sich kein anderer oder die Gemeinde erwartet, dass "Herr Pastor" alles selber in der Hand hat.
Diese letzte Variante ist m.E. die schlimmste. Und sie ist es auch, deretwegen ich gar nicht unbedingt mehr Priester will. "Herr Pastor" muss nicht alles selber machen. Unsere Gemeinden sind voller fähiger Männer und Frauen. Und was getan werden muss, könnte man ganz gut aufteilen. Auf ehrenamtliche und hauptamtliche Laien, Diakone - naja und dann eben auch noch den Pastor. Pastor bedeutet "Hirte", davon hat eine gewöhnliche Herde genau einen. Natürlich wäre es schön, wenn die Seelsorgseinheiten kleiner wären, wieder normale Pfarren halt! Aber mal ganz ehrlich: viele Aufgaben, für die unbedingt der Priester kommen soll, könnte genauso gut auch der Diakon oder die Pastoralreferentin übernehmen? Bildet die Laien ordentlich aus und sie beerdigen unsere Verstorbenen genau so würdig, wie die Priester. Ehevorbereitung - ist ja wohl bei den Diakonen sowieso besser aufgehoben, oder? usw.
Ich bin in dieser Frage geprägt von meinen Jahren in Lettland. Die Kirche dort ist sehr priesterzentriert, d.h. der Priester hat dort eine hoch respektierte und wenig hinterfragte Stellung. Und weil er so zentral und wichtig und besonders ist, muss er auch alles machen. Nicht einmal Kommunion austeilen durften wir als Schwestern dort. Natürlich gibt es auch mehr Priester, aber dieses Priesterbild passt nicht zu Deutschland. Ich jedenfalls habe lieber ein paar Priester weniger, aber mit denen darf ich dann diskutieren und um den richtigen Kurs der Gemeinde ringen, anstatt auf ein passives "Ja und Amen" reduziert zu werden.

Dienstag, 21. Juli 2015

Um Himmels Willen!

... oder Zölibatversteher Teil 4
Ich habe versucht, in drei Artikeln auf verschiedene Argumente einzugehen, die immer wieder gegen den Zölibat vorgebracht werden. Was dabei aber noch gar nicht richtig zur Sprache gekommen ist - und das finde ich typisch für dieses Thema! - ist die Frage: wozu gibt es den Zölibat eigentlich?

Ja, ich verzichte auf einen Partner und das Ausleben meiner Sexualität - aber wozu?
Ja, ich verzichte auf eigene Kinder - und wozu?
Ja, ich bin manchmal einsam - wozu bloß!?

In Teil 3 hatte ich Jesus zitiert. Der spricht davon, dass es Menschen gibt, die "um des Himmelreiches willen" ehelos leben (Evangelium nach Matthäus, Kapitel 19). Aber was heißt das?
Der wichtigste Sinn des Zölibates ist es darauf hinzuweisen, dass es mehr gibt als das Leben hier auf der Erde. Das, was uns Menschen normalerweise am wichtigsten ist, Besitz, Macht und eben die Fortpflanzung, das soll für diejenigen, die die neue Welt Gottes bauen, nicht so wichtig sein. Deshalb geloben Ordensleute Armut, Gehorsam und Keuschheit. Wir nennen das ein eschatologisches Zeichen, der Hinweis auf die letzten Dinge, der sich aus der Radikalität ableitet, mit der Jesus in seine Nachfolge ruft.
Natürlich gibt es vor allem später im Mittelalter auch viel profanere Gründe. Da ging es z.B. um die Besitztümer und die Macht der Geistlichen. Ein unverheirateter Bischof war freier und musste weniger Rücksicht nehmen als einer, der wie ein weltlicher Fürst seine Nachkommen versorgen wollte.
Klingt schrecklich? Ja und nein. Ein bisschen davon ist eigentlich geblieben. 
Auch wir heute leben zölibatär, um frei zu sein. Ich hätte sehr gerne Kinder gehabt, am liebsten eine Kinderdorffamilie, aber das ging nicht. Dieser Verzicht ist mir nicht leicht gefallen. Aber jetzt brauche ich mir auch keine Sorgen um Kinderkrankheiten zu machen, um die richtige Schule und falsche Freunde. Ich bin frei, sowohl für die Kinder in unseren Kinderdörfern da zu sein, als auch mal eben ein paar Jahre nach Lettland zu gehen und dort mitzuarbeiten, oder mich überall sonst einsetzen zu lassen, wo es nötig ist. Ich kenne Priester, die in keiner Pfarre länger als ein paar Jahre bleiben. Überall bauen sie eine tolle Arbeit auf (keine Ironie!), und sobald die alleine läuft, werden sie versetzt, weil ihr Schwung woanders gebraucht wird. Das geht mit einer Familie nicht. 
Und schließlich gibt es noch einen Aspekt, der m.E. immer zu kurz kommt. In Teil 1 dieser Reihe habe ich ihn schon angedeutet. Wir wählen diese Lebensform freiwillig. Viele Menschen leben quasi zölibatär, aber ohne es zu wollen. Ich könnte auf Anhieb ein Dutzend Menschen aus meinem Bekanntenkreis nennen, die ungewollt kinderlos sind, viele davon auch ohne Partner. Ich weiß nicht, wie es den Weltpriestern geht. Aber als Ordensfrau lebe ich meine Gelübde auch in Solidarität mit denen, die unfreiwillig arm, gehorsam oder eben ehelos leben müssen. Mancher Not können wir nicht abhelfen, aber wir können sie solidarisch aushalten und ihr so einen Sinn geben.

Freitag, 17. Juli 2015

Wer hat's erfunden?

...oder Zölibatversteher, Teil 3:
Ja, wer hat den Zölibat eigentlich erfunden? Jesus jedenfalls nicht!
Das ist eines der beliebtesten Argumente gegen diese Lebensform, und in der Tat kann man ganz schön ins Schwitzen kommen, wenn man sich bei seiner zölibatären Lebensweise auf den Zimmermannssohn aus Nazareth berufen will. Er ist zumindest nicht eindeutig in seinen Aussagen.
Einerseits beruft er seine Jünger vom Fleck weg: "Folge mir nach!" ohne Rücksicht auf deren Familien und Frauen (die bis auf Johannes alle Apostel schon hatten). Andere, die ihm folgen wollen, warnt er, der Menschensohn (also er selber) habe kein ordentliches Zuhause. Selbst die fundamentalsten sozialen Verpflichtungen, den Vater zu beerdigen und sich von der Familie zu verabschieden, verbietet er seinen Nachfolgern (Lk 9, 57-62). Wenn er seine zwölf Jünger aussendet, dann dürfen sie keine Sicherheiten mitnehmen. Sie sind zu zweit, haben die Kleider am Leib, einen Wanderstab und die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben. Sonst nichts. (Mk 6, Lk 9, Mt 10)
Das alles klingt nicht gerade familienfreundlich. 
Ja, Jesus betont sogar, wer seine Familie verlasse um ihm zu folgen oder um des Evangeliums willen, der werde alles vielfach zurück erhalten. Und er zählt auf, was seine Jünger alles verlassen sollen: "Häuser, Brüder, Schwestern, Väter, Mütter, Kinder oder Äcker". So berichten es Matthäus und Markus, der Evangelist Lukas fügt auch noch die Frauen hinzu (Lk 18, 29).
Aber - wie gesagt - so eindeutig ist das nicht, denn eigentlich ist Jesus gegen die Ehescheidung. (Mt 19, 12) Nur wenn ein Fall von Unzucht vorliegt, darf der Mann seine Frau aus der Ehe entlassen. Darauf maulen seine Jünger: "Wenn das die Stellung des Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten." (!) Und da erklärt ihnen Jesus, dass es Menschen gibt, die gar nicht zur Ehe fähig sind, auch wenn das schwer zu verstehen sei. "Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer es fassen kann, der erfasse es." Also scheint es verschiedene Wege zu geben, oder?
Etwa 300 Jahre nach Christus hat die Diskussion begonnen, ob Priester enthaltsam leben müssen. Im Jahr 325 (Konzil von Nicäa) hat die morgenländische Kirche das für sich abgelehnt. Die abendländische Kirche legte es 1139 im Zweiten Laterankonzil fest (und spaltet sich in der Reformation ja auch in dieser Frage erneut). 
Was bleibt? Jesus hat sich nicht hingestellt und gesagt: "Sooft ihr das Abendmahl feiert, darf nur ein Mann den Kelch segnen, der keine Frau berührt hat!" Oder so ähnlich. Das hat er nicht gesagt.
Aber er hat zu einer sehr radikalen Nachfolge aufgerufen. Diese Radikalität verträgt sich nicht mit einem normalen, bürgerlichen Familienleben. Um des Himmelreiches willen kann man schon mal auf Dinge verzichten, die uns normalerweise als zentral für unsere Existenz erscheinen. Das kann nicht jeder. Muss aber auch nicht, denn es gibt verschiedene Arten, Jesus zu folgen.

Donnerstag, 16. Juli 2015

Freiwillig? Naja...

... oder Zölibatversteher Teil 2:
Gestern habe ich über die Einsamkeit geschrieben und darüber, dass ich mir den Zölibat ja freiwillig ausgesucht habe. Die darauf folgenden Kommentare haben mich zu einer Zölibatsversteher-Reihe angeregt. Erster Teil war gestern, zweiter heute, wie viele es noch werden, hängt von euren Kommentaren ab! :)
Erster berechtigter (!) Einwand: der Zölibat ist nicht ganz so freiwillig, wie ich es dargestellt habe. Schließlich kann in der römisch katholischen Kirche niemand Priester werden, der nicht das Gelübde der Ehelosigkeit akzeptiert (von einigen speziellen Ausnahmen abgesehen).
Für die klassischen Orden gilt das auch: z.B. kann keine Frau in unserer Gemeinschaft Schwester werden, ohne das Gelübde der "Keuschheit in Ehelosigkeit" abzulegen. (Ich halte den Einwand für berechtigt, trotzdem widerspreche ich. Damit es klarer wird, überspitze ich die Diskussion mal etwas.)
"Ist das nicht Erpressung?"
.
Denn es muss ja kein Mann Priester und keine Frau Dominikanerin werden. Es gibt andere Berufe, die seelsorgliche Tätigkeiten ermöglichen, z.B. Diakon oder Pastoralreferent, und es gibt andere Möglichkeiten, der Dominikanischen Familie beizutreten, z.B. die Laiengemeinschaften. Aber wer diese eine spezielle Form (Priester/Schwester) wählt, muss die Bedingung des Zölibates akzeptieren.
"Typisch katholische Kirche!"
Ne, eigentlich nicht.
Eigentlich ist es doch bei den meisten Berufen so, dass man bestimmte Voraussetzungen mitbringen muss. Wer Polizist/in werden will, darf nicht einmal ein auffälliges Tattoo oder Piercing haben. Und jeder Beruf bringt seine eigenen Bedingungen mit sich: Kranken- und Altenpfleger werden kaum um den Schichtdienst herumkommen, und wer nicht schwindelfrei ist oder am liebsten drinnen arbeitet, sollte besser nicht Dachdecker werden. 
Mit anderen Worten: Augen auf bei der Berufswahl!

P.S.: Ich weiß natürlich, dass das jetzt sehr provozierend formuliert ist und nur einen kleinen Teilaspekt des Themas trifft, aber das musste eben auch mal gesagt werden. Ich fange aber mit dem dritten Teil lieber schon mal an...

Mittwoch, 15. Juli 2015

Über Beziehungen und Einsamkeit...

... oder Zölibatversteher Teil 1
Kürzlich hat Matthias Fritz in dem Blog "raumrauschen" über die Einsamkeit geschrieben, die ihn als Priester manchmal blitzartig überfällt. Ich fand das mutig, und es hat mich auch angesprochen, weil ich das Gefühl kenne. Ich lebe zwar in einer Gemeinschaft und habe damit ein völlig anderes Leben als ein sogenannter „Weltpriester“, aber auch in Gemeinschaft kann man einsam sein.
Als ich den Artikel auf Facebook geteilt hatte, war einer der Kommentare „Wie kann man einem Menschen die menschliche Beziehung verweigern?“ 
Ist unsere Lebensform heutzutage wirklich so exotisch geworden, dass sie einer Erklärung bedarf? Möglicherweise, jedenfalls möchte ich diese Frage nicht so stehen lassen.
"Wie kann man einem Menschen ... verweigern?" Ich weiß nicht, wie es Matthias Fritz geht, aber ich lebe den Zölibat freiwillig. Ich hatte ein normales Leben (was auch immer man darunter versteht) und habe dann ein zölibatäres gewählt. Insofern verweigert mir auch niemand etwas.
"die menschliche Beziehung": eine interessante Formulierung. Ob der Autor wirklich der Meinung ist, jeder Mensch ginge nur EINE Beziehung zu einem anderen Menschen ein? Ich lebe eine Fülle von Beziehungen, seit ich im Orden bin sogar noch viel mehr als vorher, und ich vermute, dass es den meisten Priestern ähnlich geht. Wie kommt man auf den Gedanken, wer zölibatär lebt, verzichte auf menschliche Beziehung? Oder ist gar nicht "die menschliche Beziehung" gemeint, sondern die eine ganz besondere Art von Beziehung, nämlich eine intime Liebesbeziehung? Ich glaube, in dieser Unschärfe liegt die Ursache für ein großes Missverständnis unserer Gesellschaft.
Ist uns diese eine, intime oder auch romantische Beziehung so wichtig, dass neben ihr alle anderen verblassen? Mal ganz ehrlich: Das ist vielleicht bei Rosamunde Pilcher so, aber doch nicht im wahren Leben! Wie viele Menschen gibt es heute in unserer Gesellschaft, die keinen Partner finden, mit ihrem Partner kreuzunglücklich sind oder ihn nach einigen Jahren wieder verlieren? Wenn wir mal die ideologische Brille abnehmen, dann sehen wir, dass Priester und Ordensleute die Wahl hatten, sich zum Zölibat zu verpflichten oder nicht. Was für eine Wahl haben die zahllosen Menschen in unserem Land, die ungewollt als Single leben? Manchmal ist es nur eine Phase von ein paar Jahren, aber manchmal auch ihr Leben lang. Ganz zu schweigen von denen, die in einer Partnerschaft ohne Liebe gefangen sind. Lebenslange romantische und sexuelle Erfüllung ist etwas aus der Parship-Reklame.
Ja, ich bin manchmal einsam und ich vermute, dass das vielen meiner Schwestern und auch vielen Priestern ähnlich geht. Das liegt an unserer Lebensform und ich finde es gut, dass und wie Matthias Fritz das zur Sprache gebracht hat. Aber die Vorstellung, ein Mensch hätte überhaupt erst dann eine nennenswerte Beziehung, wenn er ein zufriedenstellendes Intimleben hat, beleidigt einen nicht unerheblichen Teil unserer Gesellschaft. Und das Schimpfen auf den Zölibat lenkt vom eigentlichen Problem ab: mitten in der Gemeinschaft anderer Menschen kann man einsam sein. Jeder. Der Priester, die Ordensschwester, der Single, die Witwe... Und auch, wenn die Schärfe der Einsamkeit in dem Moment niemand nehmen kann, sollten wir aufeinander achten. Lassen wir einander wenigstens nicht allein!

Samstag, 15. November 2014

Eine traurige Geschichte

Aus gegebenem aktuellem Anlass erzähle ich heute eine traurige Geschichte. Sie ist wirklich passiert, bzw. sie passiert ständig, ich weiß nicht, wie oft. Deshalb erzähle ich sie als Beispiel.

Paul liebt Anna. Es ist die große Liebe. Beide überlegen es sich gut, dann heiraten sie. So richtig mit allem Drum und Dran "Willst du mich ehren und achten, bis dass der Tod uns scheidet?" und so. Sie sind glücklich.
Nach ein paar Jahren verliebt sich Paul in Berta. Einfach so. Die Liebe fällt vom Himmel, die Liebe ist etwas Gutes, etwas Schönes, dagegen kann man doch nichts sagen und erst recht kann man nichts dagegen tun, oder?
Paul geht zu Anna. "Sag mal, was hälst denn du so von einer offenen Dreierbeziehung? - So ganz allgemein gesprochen!" setzt er noch hastig hinzu. Anna runzelt die Stirn. "Du weißt doch, dass ich das für Mist halte. Das kann nicht gut gehen und ist unmoralisch. Ich bin für klare Entscheidungen. Man kann im Leben nicht alles haben."
Paul geht zu Berta: "Ich habe Anna die Treue versprochen und ich liebe sie. Ich will sie nicht verlassen und sie wird dich nicht akzeptieren. Was sollen wir tun?" Berta weint: "Das ist aber gemein und spießig!" "Ja," stimmt Paul zu "finde ich auch. Wir lassen uns unsere Liebe nicht verbieten." Und sie beginnen, sich heimlich zu treffen.
Sie hoffen, dass Anna dazulernen wird. Vielleicht wird sie eines Tages einsehen, wie spießig und altmodisch ihre Einstellung ist. Dann werden sie endlich erzählen können, dass sie ein Paar sind. Dann wird alles gut sein. Bis dahin gehen sie einmal in der Woche in eine Selbsthilfegruppe für Paare, denen es ebenso geht wie ihnen.
Hin und wieder kommen Journalisten. Denen erzählen sie - anonym natürlich - wie unfair sie es finden, dass man in der Ehe immer noch nur zu zweit sein darf. Was soll dieses reaktionäre Treueversprechen? Das passt doch nicht mehr in unsere Zeit! Die Unterstützung in der Bevölkerung wächst. Aber Anna bleibt dabei: "Du kannst ja gehen, aber ein Dreier? Will ich nicht!" Paul und Berta sind empört: wieso ist Anna nur so uneinsichtig?

Finde den Fehler.


(Foto: Gerd Wittka / pixelio)