Mittwoch, 30. Mai 2012

Von Mauern und Windmühlen

Vor einiger Zeit hatten wir mal einen Bethanientag unter dem Motto "Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen". Ich finde dieses Wort immer wieder passend, vor allem um Pfingsten herum. Wir beten um das Wirken des heiligen Geistes, um Sein kräftiges Wehen der Erneuerung. Aber manchmal ist die Versuchung groß, sich in den Schatten einer Mauer zu verkriechen und sich vor der Energie, die da frei kommen kann, zu schützen! Sich für die Windmühle entscheiden, heißt ja schließlich auch, bereit zu sein, sich kräftig durchpusten zu lassen.

Wir leben in einer Zeit der Veränderungen. Wir merken das überall um uns herum: unsere Gesellschaft verändert sich stark, und nicht nur in den Orden nimmt die Zahl der Alten gegenüber den Jungen zu. Der Glaube schwindet, die Kirche befindet sich in einer tiefen Krise. Wenn wir um das Wirken des Heiligen Geistes beten, heißt das: lasst uns Windmühlen bauen. Lasst uns bereit sein, uns vom Geist Gottes bewegen zu lassen. Lasst uns aufmerksam sein, wo dieses Wirken uns hinführt, auch wenn es uns vielleicht zunächst ängstigt oder nicht gefällt. Erneuerung kommt durch Bewegung. Lassen wir uns vom Heiligen Geist bewegen - um der Erneuerung unseres Lebens, unserer Kirche, unserer Welt willen.

Sr. Sara, Generalpriorin der Dominikanerinnen von Bethanien

Sonntag, 20. Mai 2012

Katholisch: bunt statt schwarz

Ich liebe die deutschen Katholikentage!
Diese Jugendgruppe "Tabgha" verteilte
Glückskekse mit Bibelsprüchen
Klar, alle Jahre wieder gibt es dieselben Probleme: die einen reisen gar nicht erst an, weil sie schon vorher wissen, dass das alles viel zu progressiv und aufrührerisch wird - und ohnehin nichts bringt. Die anderen veranstalten einen Parallelkatholikentag, wo sie die gleichen Themen zur gleichen Zeit besprechen - nur viel progressiver, offener und kontroverser als auf der spießigen und konservativen offiziellen Veranstaltung.

Rosenkranzknüpfen am Stand
der Dominikanischen Familie
Otto-Normalbeter steht dazwischen, wühlt sich durchs Programm und durch den Mannheimer Stadtplan und kämpft wie jedes Mal mit einer Überfülle an Angeboten und zu langen Wegen.
Aber wenn man das alles mal nicht als Probleme ansieht, sondern ganz neutral, dann kann man entdecken, was Alois Glück, der Präsident des ZDK, zum Abschluss sagte: die Katholikentage zeigen die ganze Vielfalt der Kirche. Er fügte hinzu, das sei eine Bereicherung und keine Bedrohung, und ich finde das auch.

Diese Gruppe möchte möglichst radikal
wie die Urgemeinde leben.
Die ganze Vielfalt der katholischen Kirche...? Interessanterweise ziehen die Katholikentage immer auch jede Menge Propheten anderer Überzeugungen an. Die Ökumene gehört ja fest ins Programm, Juden, Moslems, Orthodoxe - alle offiziellen Religionen sind auch reguläre Gesprächspartner. Darüber hinaus gibt es aber auch noch so viele selbsternannte Heilsbringer, Einzelne, die mit dem Mikro in der Fußgängerzone die Erlösung verkünden, tanzende Urgemeindenimitatoren, singende Apokalyptiker, usw. Das spirituelle Angebot ist riesig.
Zu Hause noch mal in voller Pracht:
das wilde Sammelsurium der Souvenirs
Ich liebe es, bei gutem Wetter über die Kirchenmeile zu bummeln, mir all die offiziellen Stände mit ihren oft gegensätzlichen Angeboten anzusehen und zu hören und zu wissen: unsere Kirche ist reich - reich an Menschen und Ideen. Und sie ist groß, viel größer als die Minigrüppchen der Endzeitpropheten. Eigentlich müsste sie groß genug sein, um gelassen auszuhalten, was sich da alles unter ihrem Namen vereint.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Dinge für wahr nehmen

Unser Kloster und Kinderdorf  in Waldniel liegen in einem kleinen Park. Seit einigen Wochen grünt und blüht es überall kräftig - ich liebe das. In Lettland ist der Frühling viel kürzer, deshalb genieße ich ihn dieses Jahr (zum ersten Mal wieder in Deutschland) ganz besonders. 
Einige der schöneren Stellen habe ich eifrig fotografiert und die Bilder auf Facebook in einem Album zusammengestellt. Es wird oft angesehen - anderen Menschen gefällt unser Park auch. Schön!
Allerdings habe ich irgendwann gemerkt, dass ich nur noch durch die Linse dachte. Alles was ich sah, beurteilte ich sofort danach, ob es fototauglich sei, und ob es wohl in eines meiner Internetalben passen würde. Ist das nicht absurd? Wird denn der Flieder erst als Foto auf Facebook real? 
Natürlich nicht - im Gegenteil! Hier und jetzt, direkt vor meiner Nase ist er, wie er realistischer nicht sein kann. Also habe ich mir eine Fotopause verordnet.- Was für eine Befreiung!
Plötzlich habe ich wieder neu entdeckt (denn eigentlich wusste ich es ja längst), dass es eine unglaubliche Fülle von Schönheiten gibt, die ich gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Ich hatte sie frühzeitig aussortiert: "das wird nix" - auf einem Foto, soll das heißen.Aber ohne Foto ist es schon was: der Schmetterling auf dem dürren Busch, das Gänseküken, das sich von den anderen abgesondert hat, die unzähligen, klitzekleinen blauen Blümchen im Moos.
Sobald ich aufhöre, sie in Besitz nehmen zu wollen, kann ich anfangen, sie einfach nur wahr-zu-nehmen. Wahrnehmung heißt, die Dinge aufzunehmen, wie sie sind, ohne sie zu bewerten oder zu verzwecken. Wahrnehmung ist der Anfang aller Meditation. 
Ich werde künftig wieder ohne Kamera durch unseren Park gehen, ich habe jetzt schon gemerkt, dass ich plötzlich beim Betrachten der Knospen an Gott denke - und nicht mehr an mich.