Samstag, 6. September 2014

Offener Blick auf den Schleier

"Disparition" von Bushra Almutawakel
Bildquelle: http://globalvoicesonline.org/2012/09/09/france-yemen-vanishing-women/
http://universes-in-universe.org/deu/nafas/articles/2010/boushra_almutawakel/
Vor einiger Zeit habe ich zwei muslimische Mädchen auf die Taufe vorbereitet. Irgendwann fragte eine der beiden, warum ich eigentlich einen Schleier trage. Ich habe ihnen erklärt, dass Haare ein natürlicher Schmuck sind und dass das Bedecken der Haare in den verschiedenen Kulturen immer etwas damit zu tun hatte, dass die Frau nicht (mehr) zu haben war. Sobald eine Frau heiratete, kam sie "unter die Haube", sie war vergeben und kleidete sich von da an zurückhaltender. Das ist im Kloster ähnlich: der Schleier oder früher auch das Abschneiden der Haare war ein Zeichen der Jungfrauenweihe: ich habe meinen Bräutigam gefunden - Finger weg.
Auch im Islam bedeutet das Kopftuch eigentlich erst mal nichts anderes. Der Koran verlangt von den Frauen eine anständige Bekleidung. Sie sollen Haare und Hals bedecken - und das, was in der westlichen Kultur gerade entblößt wird: das Dekolleté. Das gilt natürlich vor allem erst mal für verheiratete Frauen. Junge Mädchen sollen natürlich auch dem Anstand gemäß gekleidet sein, müssen aber ihre Attraktivität - maßvoll - zeigen dürfen, damit sie überhaupt einen Mann bekommen. (Diese Unterschiede beobachte ich immer wieder fasziniert, wenn ich muslimische Teenager modern gekleidet mit farblich passendem, schick gestyltem Kopftuch sehe.) Und es gilt überhaupt nicht für Mädchen vor der Pubertät, denn es geht ja um das Verhüllen sexueller Reize. Wo nichts ist, muss man nichts verhüllen.
Soweit, so nachvollziehbar. Man muss das nicht mögen, aber ich finde, wir haben kein Recht, anderen Leuten zu sagen, wie sie ihre Töchter erziehen sollen.
Nun erleben wir aber in den letzten Jahren zunehmend eine andere Form der Verschleierung auch auf deutschen Straßen. Die verschiedenen Formen habe ich jetzt in einer Fotoserie der jemenitischen Künstlerin Bushra Almutawakel gesehen. Sie stellt sie in eine Reihe nebeneinander, um zu zeigen, wie unter dem Druck der Fundamentalisten die Frauen in muslimischen Gesellschaften mehr und mehr in die Unsichtbarkeit verschwinden.
Wenn ich mir diese Bilder ansehe, dann wird mir klar, was davon ich akzeptieren kann und womit ich ein Problem habe. Und warum. 
Die ersten beiden Bilder sind mir etwas fremd, aber wenn es die Religion verlangt, habe ich kein Recht, das in Frage zu stellen. Ich will ja auch meinen Schleier tragen, ohne deswegen dumm angemacht zu werden.
Dann kommen zwei Bilder, mit denen ich mich auf deutschen Straßen (!) schwer tue: ich bezweifle, dass diese Kleidung wirklich noch den religiösen Vorschriften des Koran entspricht. Ich vermute (behaupten will ich das nicht, dafür kenne ich den Islam nicht gut genug), dass es hier mehr um kulturelle Identität und Tradition geht. Und da sind wir sofort bei der Frage: warum grenzen sich diese Menschen so deutlich von der kulturellen Identität unseres Landes ab? Warum wollen sie sich nicht anpassen, wenn sie in diesem Land doch leben wollen? Aber das sind Fragen, Unsicherheiten, keine Gewissheiten. Kann sein, dass ich damit jemandem Unrecht tue. Ich begegne selber auch immer wieder Menschen, die glauben, mich genau zu kennen - nur weil sie meinen Habit sehen. Darum ist es hier schwierig.
Bei der unteren Reihe der Bilder ist es dann einfacher: ich will sehen, mit wem ich es zu tun habe. Mir ist völlig egal, wie frei eine Frau ist oder sich fühlt, wenn sie voll verschleiert ist (und es gibt Frauen, die sagen, dass sie den Gesichtsschleier gerne tragen, weil sie sich dann erst richtig frei fühlen!) - ICH fühle mich latent bedroht, wenn ich jemandem begegne, dessen Gesicht vermummt ist. Und wenn ich mit jemandem spreche, dann möchte ich seine Mimik sehen. Ich diskutiere mit offenem Visier. Wenn muslimische Gesellschaften eine Hälfte ihrer Bevölkerung verhüllen oder zu Hause wegsperren, finde ich das traurig, aber es steht mir kein Urteil darüber zu. Doch in Deutschland will ich solche Vermummung auf keinen Fall.
Die Bilder lassen mich ein bisschen ratlos zurück. Aber sie zeigen mir auch klar die Grenzen meiner Toleranz: Religionsfreiheit - ja, unbedingt. Aber ich möchte den Menschen offen ins Gesicht sehen können.

1 Kommentar:

  1. Ich sehe das ähnlich. Die vollkommene Verhüllung macht es mir unmöglich, der Betreffenden gerade ins Gesicht zu schauen - und damit macht es mir auch ein offenes und freundliches Grüßen unmöglich, so leid mir das tut. Ich kann nicht jemanden anlächeln, von dem ich nicht weiß, ob die Reaktion Zurücklächeln oder Zunge rausstrecken ist. Allerdings finde ich es falsch, die Vollverschleierung grundsätzlich zu verbieten - auch vor seiner Haustür darf sich jeder Mensch zum Hirsel machen, wenn er das möchte. Anders, wenn es zu einem Kontakt nicht nur kommen könnte und dürfte, sondern notwendig muß - in Kindergarten, Schule, Uni, Behörde, aber auch im Kleinhandel. Ich will nicht belehrt oder bedient werden von jemandem, dem ich nicht ins Gesicht schauen kann.

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