"Disparition" von Bushra Almutawakel Bildquelle: http://globalvoicesonline.org/2012/09/09/france-yemen-vanishing-women/ http://universes-in-universe.org/deu/nafas/articles/2010/boushra_almutawakel/ |
Vor einiger Zeit habe ich zwei
muslimische Mädchen auf die Taufe vorbereitet. Irgendwann fragte eine
der beiden, warum ich eigentlich einen Schleier trage. Ich habe ihnen
erklärt, dass Haare ein natürlicher Schmuck sind und dass das Bedecken
der Haare in den verschiedenen Kulturen immer etwas damit zu tun hatte,
dass die Frau nicht (mehr) zu haben war. Sobald eine Frau heiratete, kam
sie "unter die Haube", sie war vergeben und kleidete sich von da an
zurückhaltender. Das ist im Kloster ähnlich: der Schleier oder früher
auch das Abschneiden der Haare war ein Zeichen der Jungfrauenweihe: ich
habe meinen Bräutigam gefunden - Finger weg.
Auch
im Islam bedeutet das Kopftuch eigentlich erst mal nichts anderes. Der
Koran verlangt von den Frauen eine anständige Bekleidung. Sie sollen
Haare und Hals bedecken - und das, was in der westlichen Kultur gerade
entblößt wird: das Dekolleté. Das gilt natürlich vor allem erst mal für
verheiratete Frauen. Junge Mädchen sollen natürlich auch dem Anstand
gemäß gekleidet sein, müssen aber ihre Attraktivität - maßvoll - zeigen
dürfen, damit sie überhaupt einen Mann bekommen. (Diese Unterschiede
beobachte ich immer wieder fasziniert, wenn ich muslimische Teenager
modern gekleidet mit farblich passendem, schick gestyltem Kopftuch
sehe.) Und es gilt überhaupt nicht für Mädchen vor der Pubertät, denn es
geht ja um das Verhüllen sexueller Reize. Wo nichts ist, muss man
nichts verhüllen.
Soweit,
so nachvollziehbar. Man muss das nicht mögen, aber ich finde, wir haben
kein Recht, anderen Leuten zu sagen, wie sie ihre Töchter erziehen
sollen.
Nun erleben wir
aber in den letzten Jahren zunehmend eine andere Form der Verschleierung
auch auf deutschen Straßen. Die verschiedenen Formen habe ich jetzt in
einer Fotoserie der jemenitischen Künstlerin Bushra Almutawakel gesehen.
Sie stellt sie in eine Reihe nebeneinander, um zu zeigen, wie unter dem
Druck der Fundamentalisten die Frauen in muslimischen Gesellschaften
mehr und mehr in die Unsichtbarkeit verschwinden.
Wenn ich mir diese Bilder ansehe, dann wird mir klar, was davon ich akzeptieren kann und womit ich ein Problem habe. Und warum.
Die
ersten beiden Bilder sind mir etwas fremd, aber wenn es die Religion
verlangt, habe ich kein Recht, das in Frage zu stellen. Ich will ja auch
meinen Schleier tragen, ohne deswegen dumm angemacht zu werden.
Dann
kommen zwei Bilder, mit denen ich mich auf deutschen Straßen (!) schwer
tue: ich bezweifle, dass diese Kleidung wirklich noch den religiösen
Vorschriften des Koran entspricht. Ich vermute (behaupten will ich das
nicht, dafür kenne ich den Islam nicht gut genug), dass es hier mehr um
kulturelle Identität und Tradition geht. Und da sind wir sofort bei der
Frage: warum grenzen sich diese Menschen so deutlich von der kulturellen
Identität unseres Landes ab? Warum wollen sie sich nicht anpassen, wenn
sie in diesem Land doch leben wollen? Aber das sind Fragen,
Unsicherheiten, keine Gewissheiten. Kann sein, dass ich damit jemandem
Unrecht tue. Ich begegne selber auch immer wieder Menschen, die glauben,
mich genau zu kennen - nur weil sie meinen Habit sehen. Darum ist es
hier schwierig.
Bei der
unteren Reihe der Bilder ist es dann einfacher: ich will sehen, mit wem
ich es zu tun habe. Mir ist völlig egal, wie frei eine Frau ist oder
sich fühlt, wenn sie voll verschleiert ist (und es gibt Frauen, die
sagen, dass sie den Gesichtsschleier gerne tragen, weil sie sich dann
erst richtig frei fühlen!) - ICH fühle mich latent bedroht, wenn ich
jemandem begegne, dessen Gesicht vermummt ist. Und wenn ich mit jemandem
spreche, dann möchte ich seine Mimik sehen. Ich diskutiere mit offenem
Visier. Wenn muslimische Gesellschaften eine Hälfte ihrer Bevölkerung
verhüllen oder zu Hause wegsperren, finde ich das traurig, aber es steht
mir kein Urteil darüber zu. Doch in Deutschland will ich solche
Vermummung auf keinen Fall.
Die
Bilder lassen mich ein bisschen ratlos zurück. Aber sie zeigen mir auch
klar die Grenzen meiner Toleranz: Religionsfreiheit - ja, unbedingt.
Aber ich möchte den Menschen offen ins Gesicht sehen können.
Ich sehe das ähnlich. Die vollkommene Verhüllung macht es mir unmöglich, der Betreffenden gerade ins Gesicht zu schauen - und damit macht es mir auch ein offenes und freundliches Grüßen unmöglich, so leid mir das tut. Ich kann nicht jemanden anlächeln, von dem ich nicht weiß, ob die Reaktion Zurücklächeln oder Zunge rausstrecken ist. Allerdings finde ich es falsch, die Vollverschleierung grundsätzlich zu verbieten - auch vor seiner Haustür darf sich jeder Mensch zum Hirsel machen, wenn er das möchte. Anders, wenn es zu einem Kontakt nicht nur kommen könnte und dürfte, sondern notwendig muß - in Kindergarten, Schule, Uni, Behörde, aber auch im Kleinhandel. Ich will nicht belehrt oder bedient werden von jemandem, dem ich nicht ins Gesicht schauen kann.
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