Freitag, 16. Mai 2014

Conchita und der Zölibat

Mal ganz im Vertrauen: Mir hat der ESC besser gefallen, als er noch Grandprix hieß und es noch um Musik ging und nicht um Politik. Aber sei's drum.
Thomas Neuwirth hat gewonnen - herzlichen Glückwunsch! Ne schöne Stimme hat er ja, das muss ihm der Neid lassen. Lied und Auftritt müssen auch gut gewesen sein, ich habe beides verpasst, glaube aber gerne, dass Österreich den ersten Platz verdient hat. Nur über eins grübele ich seit diesem Sieg nach: alle sagen, Europa habe gezeigt, dass es so tolerant sei. - Ist das so?
Ja, Homosexualität ist nicht mehr strafbar, wie sie es noch vor wenigen Jahrzehnten war und wie sie es nur wenige Kilometer weiter nach Osten und nach Süden immer noch ist. Sie ist nicht nur nicht strafbar: wir fördern sie nach Kräften mit unseren Gesetzen und in unserer Kultur, mit Umzügen und eben damit, dass ein Transvestit einen Musikwettbewerb gewinnt. Europa ist sexuell freizügiger geworden.
Ist das allein schon Toleranz?
Wie tolerant ist unsere Gesellschaft z.B., wenn jemand (um beim Thema Sex zu bleiben) enthaltsam leben möchte? Alle Fakten helfen nicht, alle Versuche der Transparenz und der Aufklärung schlagen fehl - für einen erheblichen Teil unserer Bevölkerung steht fest, dass Männer, die (aus religiösen Gründen!) keinen Sex haben, quasi automatisch zu Kinderschändern werden. Mindestens scheint für viele aber sicher, dass Priester nur deshalb enthaltsam leben wollen, weil sie in Wirklichkeit ein Problem mit Frauen haben oder schwul sind - was in dem Fall plötzlich gar nicht mehr so unbedenklich und normal zu sein scheint.
Ist das tolerant?
Aber Toleranz sollte sich ja eigentlich auch nicht nur auf die Frage der sexuellen Freizügigkeit beschränken. Wie sieht es also, sagen wir mal, mit der Bekenntnisfreiheit aus? In mehreren europäischen Staaten wird vor den verschiedenen Gerichten erbittert darum gestritten, ob und wann muslimische Frauen Kopftücher tragen dürfen oder ob in Klassenzimmern Kreuze abgenommen werden müssen. 
Toleranz? Sieht für mich anders aus.
In Berlin wollten in diesem Jahr Moslems das Ende des Ramadan feiern. Die Stadt genehmigte das Straßenfest - aber nur unter dem Namen "Frühlingsfest". Ähnliches ist für die Weihnachtsmärkte geplant. Religiöse Bezeichnungen für öffentliche Veranstaltungen sind mehr und mehr verpönt und wo die Wirtschaft nicht sowieso schon alles regelt und aus Ostern das Hasenfest macht, da müssen eben Gesetze her.
Jetzt könnten wir weitermachen mit den Asylbewerbern, die an der Festung Europa abprallen, aber dann nimmt dieser Artikel kein Ende. Mein Fazit: Ich gönne Thomas Neuwirth seinen Sieg und freue mich mit seinen Fans, dass Homosexualität bei uns nicht mehr geächtet wird. Aber bis ich die Toleranz Europas feiern kann, werde ich wohl doch noch etwas warten müssen...



18 Kommentare:

  1. ...für einen erheblichen Teil unserer Bevölkerung steht fest, dass Männer, die (aus religiösen Gründen!) keinen Sex haben, quasi automatisch zu Kinderschändern werden.

    Ist das jetzt der übliche, katholisch-masochistische Verfolgungswahn, der einsetzt, wenn man katholischer Amtsanmassung nicht mehr, wie seit Konstantin üblich, mit Unterwerfung begegnet, sondern mit schlichtem Ignorieren oder gar, horribile dictu mit Widerworten? Oder ist das schon der Beginn einer katholischen Dolchstosslegende, geeignet um bei der restlichen Schar von Gläubigen neue "Märtyrer" zu generieren?
    Im übrigen stimmt es, dass ein guter Teil der Kindervergewaltiger, die in Diensten der römisch-katholischen Kirche standen und stehen, Männer waren, die dem Pflichtzölibat unterworfen waren und die genau deswegen bei vielen gläubigen Eltern eine ganz besonders angesehene Vertrauensstellung missbraucht haben.
    Und genau das ist auch der Grund, warum die Enttäuschung über die Kindervergewaltigungen im Kloster Ettal um so vieles größer war, als zum Beispiel in der Odenwaldschule. Und eben auch der Grund für das Misstrauen, das die Kindervergewaltigungen durch geweihte katholische Priester erzeugt haben.

    Und keine Angst! Die Fronleichnamsprozessionen und auch die Christmetten sind nicht in Gefahr; und wenn es die Pfarrer mit dem Glockengeläut nicht übertreiben auch dieses nicht. Die christlichen Kirchen haben da immer noch einen riesigen Vertrauensvorschuss. Immerhin sind die katholischen Oberhirten in Deutschland Staatsbeamte mit zivilem Amtseid und Staatssekretärsgehältern. Eine solch innige und machtvolle Verflechtung von katholischer Kirche und säkularem Staat gibts in kaum einem anderen Land der Welt, außer natürlich im Vatikanstaat.

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    1. Ehrlich gesagt, F.M., verstehe ich nicht ganz, was Sie mir sagen möchten. Ich bestreite in keiner Weise die widerlichen Verbrechen, die geschehen sind. Ganz eindeutig ist auch die Schuld der Täter, die Priester waren und sind, höher einzustufen, weil sie eine besondere Vertrauensstellung hatten. Nichts davon steht in Frage!
      In Frage stelle ich aber die Offenheit von Menschen, denen der Zölibat fremd ist, diese Lebensform verstehen zu wollen. Von mir wird erwartet, dass ich freundlich und vorurteilsfrei einer Frau mit Bart zuhöre, die mir sagt, die sexuelle Orientierung des Menschen sei Wurst. In Ordnung. Mach ich. Ich teile ihre Meinung nicht, aber ich höre ihr zu und versuche, ihre Argumente und ihre Lebensweise zu verstehen.
      Versuchen Sie, F.M., das auch, wenn Sie einem Priester begegnen? Darum ging es mir.

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  2. Wie kommt es eigentlich, dass viele meinen, Männer die Schwul seinen, sind automatisch Pädophil?
    Sorry, ich kenne viele Schwule und auch Lesben und kann diese Meinung nicht unterstützen. Für mich sehr kurz gedacht. Zudem ist es auch so, dass die Täter im Umfeld der Kinder und Jugendlichen zu suchen sind. So eben auch in der Familie und im Freundeskreis.
    Ja, stimmt, auch Priester sind Täter, davor darf man nicht die Augen verschließen. Also Augen auf! denn Kinder brauchen unsere Hilfe und keine Vorurteile, nur damit man nicht genau hinsehen muss.
    Übrigens.... es gibt viele Männer die als Single leben und gerade keine Freundin haben und auch nicht auf One-Night Stands stehen. Muss ich jetzt sorge haben?
    Und was ist mit den Frauen?

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    1. Eben: keine Vorurteile. 1-2% (!) der Täter sind Priester. Meist sind es Verwandte oder Bekannte aus dem Familienkreis.

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  3. Corinne, LilleSamstag, 17 Mai, 2014

    Solche Argumente, dass Geistiliche Schwule wären, gehen mir auch auf die Nerven. Ich bin sicher, dass die meisten aus Liebe zu Gott und zum Wohl der Menschen da sind und ohne Sex. Ich selber bin keine Geistliche aber aus Liebe zu Gott um durch das Gebet für die Welt habe ich mich entschieden, ohne Partner ond ohne Sex zu leben, und ich fühle mich ganz normal, auch wenn es auch in meiner Familie seltsam erscheinen kann. Ich bin auch keine Homosexuelle !

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    1. Es ist eben ein für die meisten Menschen unverständlicher Lebensentwurf. Lassen Sie sich nicht entmutigen! Gott segne Sie!

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  4. Es geht, meine ich, nicht um Toleranz, sondern um Freude am Anderssein des Anderen. Toleranz bedeutet: Was du tust oder lässt, ist mir egal, solange es niemanden in seinem Tun und Lassen beeinträchtigt, ich urteile nicht darüber. Gerade Ihr (leider nicht ausgeführtes) Beispiel von den Flüchtlingen und der Festung Europa, Ew. Schwester, zeigt aber, dass es nicht um Toleranz geht. Toleranz wäre: Es ist uns egal, ob ihr es nach Europa schafft oder nicht und wie ihr hier lebt. Das aber ist ebenso unzureichend, wie die aktive "Intoleranz" Europas (Abschottung, Abschiebung, Vernachlässigung) moralisch inakzeptabel ist. Der Mensch soll sich um den Menschen kümmern, so verstehe ich die Goldene Regel. Flüchtlingsein ist kein Lebensstil, der toleriert werden müsste. Auch der Zölibat ist im Grunde keiner. Was die moderne Gesellschaft an ihm nicht erträgt, ist nicht ein asexueller Lebensstil, sondern die vom Institut des Zölibats verkündete Zurückweisung von auch auf "befreiter" Sexualität beruhendem Hedonismus und Konsumismus. Um auf Conchita Wurst zu kommen: Ihre Botschaft ist aus meiner Sicht letztlich nicht, dass es egal ist, ob ein schwuler Mann sich als Frau mit Bart inszeniert, sondern dass es ihm Freude bereitet und anderen auch und dass dieses Einander-Freude-bereiten, die Lust an der Verschiedenheit, besser ist als Hass, aber auch als Gleichgültigkeit. Dies kommt, finde ich, einer Botschaft der Liebe schon sehr nahe. Nicht: Tu, was du willst, solange es niemanden stört. Sondern: Lebe so, dass du anderen das gibst, was du von ihnen empfangen möchtest. Auf der Bühne singende Frau mit Bart sein, privat ein Männer liebender Mann sein, sind im Wesentlichen keine isolierten Lebensstile (die man tolerieren kann oder nicht), sondern auf das Dasein anderer bezogene Daseinsvollzüge. Das kann beurteilt werden: Und siehe da, es ist gut.

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    1. Freude am Anderssein der anderen... Puh, ein hohes Ziel! Ich finde mich schon ziemlich gut, wenn ich sagen kann: ich finde es nicht richtig, wie du lebst, aber ich hüte mich, dich zu verurteilen und ich schätze und respektiere dich trotz deines mir unverständlichen Lebensstils. Ist das zu wenig? Selbst darum muss ich mich immer wieder bemühen und schaffe es nicht immer, aber ich glaube, wenn wir das alle hinkriegten, dann sähe es in der Welt schon wesentlich besser aus.

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    2. Bei allem Respekt: Selbstverständlich ist das zu wenig! Dasc spricht nicht absolut gegen Toleranz. (So wie zum Beispiel auch Höflichkeit zu wenig ist, was nicht gegen sie spricht.) Doch wo in den Evangelien hätte Jesus gesagt: Seid tolerant! Hat er nicht eher gesagt: So wie ihr von anderen behandelt werden wollt, so behandelt auch ihr sie. Einander zu ertragen, auch wenn es schwerfällt, kann nur ein erster Schritt sein. Uns um einander zu kümmern, scheint mir aber die eigentliche Aufgabe. An "Ertragt einer den andern in Liebe" (Eph 4,2b) scheint mir das IN LIEBE das Entscheidende. Für einander da zu sein, einander zu lieben, ist mit Gleich-Gültigkeit ("ich werte nicht") nicht möglich. Nicht zu verurteilen und nicht zu urteilen (zu unterscheiden) ist nicht dasselbe. Selbstverständlich muss ich die Handlungen meines Mitmenschen bewerten, wenn ich ihn ernst nehme. (Was nicht bedeutet, dass ich Menschen, deren Entscheidungen ich für falsch halte, deshalb verwerfen muss.) Wenn ich also werten muss, welche Wertung ist dann wohl tragfähiger: positive oder negative? Was wird belastbarer sein: Ich liebe dich, obwohl du nicht bist, wie du sein sollst. Oder: Ich liebe dich, weil du das verwirklichst, was gut ist.

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    3. Naja, gemessen am jesuanischen Ideal der Feindesliebe greift natürlich alles, was wir hier tun, zu kurz. Wir bleiben auf dem Weg.

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  5. Wenn jemand sich selbst ohne Zwang und aus freien Stücken gegen eine sexuelle Beziehung zu einem anderen Menschen entscheidet, dann ist das seine Privatsphäre und er kann das natürlich tun. Mir ist nicht bekannt, dass jemand zu einer Beziehung gezwungen wird. Mir ist auch nicht bekannt, dass irgendjemand aktiv versucht, jemanden schlechter zu stellen, nur weil dieser keine Beziehung eingehen möchte. Das bedeutet, dass beziehungslose Menschen voll toleriert sind.

    Worauf die Autorin wohl anspricht ist weniger Toleranz sondern vielmehr Respekt, also Anerkennung. Und da muss ich ganz klar sagen, dass niemand automatisch Respekt erhält. Respekt muss man sich verdienen. Und wenn nun jemand meint, sich als besonders tugendhaft darstellen zu können und allein dadurch Respekt zu verdienen, weil er keine Beziehung führen will, dann muss er einfach damit leben, dass er dafür von vielen Menschen ausgelacht wird. Genau wie jeder andere ausgelacht wird, der meint, allein durch seine persönlichen Vorlieben Respekt zu verdienen.

    Thomas Neuwirth kämpft nicht dagegen an, ausgelacht zu werden oder nicht respektiert zu werden. Er kämpft dagegen an, dass viele Menschen nicht frei nach ihrer Überzeugung leben können, weil sie aktiv daran gehindert werden. Das ist ein echtes Problem und kann nicht mit Vorbehalten gegen beziehungslos lebenden Menschen gleichgesetzt werden. Niemand wird Sie je dazu zwingen, eine sexuelle Beziehung einzugehen.

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  6. Mir ist sehr bewusst, weshalb dieser Sieg für viele so wichtig ist. Aber es geht mir nicht um Respekt für Priester und Ordensleute, sondern tatsächlich um Toleranz, das Minimum sozusagen. Niemand muss gut finden oder auch nur verstehen, wie ich lebe. Ich finde auch nicht gut, ich verstehe nicht mal, wie ein Transvestit lebt. Aber das macht nichts, wenn wir einander in unserem Anderssein akzeptieren. Ich habe mich sehr bemüht klarzustellen, dass ich dies bei Thomas Neuwirth tue. Trotzdem unterstellen Sie mir jetzt, ich hielte mich für "besonders tugendhaft" und respektabel - und obendrein "beziehungslos" (was vielleicht die größte Frechheit in Ihrem Kommentar ist). Das ist genau die Art von Intoleranz, die ich in Europa beobachte und deretwegen ich weiterhin sage: sexuelle Sebstbestimmung ist wichtig. Toleranz ist wichtig. Nur sollte beides nicht nur für eine Gruppe von Menschen gelten - sondern für alle.

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    1. Oh weia, was für ein Missverständnis habe ich da losgetreten.

      Das war keineswegs als Affront gemeint. Mit "beziehungslos" bezog ich mich explizit auf sexuelle Beziehungen. Ich hoffte, das wäre aus dem Kontext heraus ersichtlich und es wäre nicht notwendig, das bei jeder Erwähnung explizit dazuzuschreiben. Also hier zur Klarstellung: wenn ich jemanden, der freiwillig im Zölibat lebt, als "beziehungslos" bezeichne, dann meine ich damit explizit sexuelle Beziehungen, nicht freundschaftliche Beziehungen oder weitere Beziehungen, welche diese Person natürlich führt.
      Ich wollte auch nicht behaupten, dass Sie sich für besonders tugendhaft halten würden. Ich sagte nur dass man sich, wenn man dies ohne entsprechende Leistung tut, der Lächerlichkeit preisgibt und damit leben muss. Das bedeutet nicht, dass man nicht toleriert wird.

      Können Sie bitte noch aufzeigen, wo Sie nicht toleriert werden? Das ist der Kernpunkt Ihres Beitrages und ging bisher irgendwie komplett unter. Vielleicht kann ich Sie dann besser verstehen.

      Viele Grüße
      - Robert

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    2. Hallo Robert!
      Nein, ich habe Sie nicht missverstanden. Natürlich weiß ich, was Sie mit "beziehungslos" meinen. Und okay, ich glaube Ihnen mal, dass das keine bewusste Provokation war. Aber das mit der Tugendhaftigkeit - kommen Sie, Robert!
      Klar schränken Sie ein: Wenn sich jemand so verhält, dann... Aber das ist ja gerade der Punkt. Ich erlebe, dass Menschen einfach vor sich hin leben und ihnen aufgrund ihrer Lebensart die übelsten Beschimpfungen und Vorwürfe gemacht werden - pauschal, ohne Ansehen der Person. Das ist genau das, was wir bei Homosexuellen heutzutage zu Recht unerträglich finden. Bei Priestern finde ich das aber eben auch unerträglich. Und Ihre Antworten bestätigen mich. Sie glauben mir einfach nicht, dass es solches Verhalten gibt, sondern unterstellen (!), dass im Zweifelsfall der Betroffene sich eben "ohne entsprechende Leistung" als besonders tugendhaft dargestellt hat. Damit ist er selber schuld, wenn er lächerlich gemacht wird. Das ist genau einer dieser pauschalen Vorwürfe: Durch nichts belegt, an nichts festgemacht, deshalb auch nicht zu widerlegen. Subtil, aber wirksam. Würde ich auch nur annähernd so über Schwule schreiben, gälte ich sofort als homophob.
      Wieso ich nicht toleriert werde? Ich habe in meinem Artikel als Beispiel die Priester genannt, die häufig (natürlich nicht immer) unter einen Generalverdacht gestellt werden. Uns Ordensfrauen geht es meiner Beobachtung nach besser, obwohl auch wir immer mal wieder üble Sachen zu hören bekommen. Viele Menschen regen sich einfach gerne über den Zölibat auf. Dass sie damit meine Lebensform beleidigen, kommt ihnen gar nicht in den Sinn.

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    3. P.S. an Robert: wenn Sie mich noch nicht verstehen, dann lesen Sie mal den ersten Kommentar in diesem thread, von F.M., vielleicht ist das erhellend.

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    4. Die Institution des Zölibats ist unabhängig von Ihrer persönlichen Präferenz. Ich persönlich sehe das Zölibat als gefährlichen Unsinn an, da es Menschen einem Zwang ausliefert, welcher aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt ist und sogar gefährlich sein kann.
      Achtung! Missverständnisgefahr!
      Wenn Sie persönlich ohne sexuelle Beziehung leben, dann ist das Ihre Privatsache. Niemand will sie da einschränken. Die Kritik richtet sich lediglich gegen die Institution des Zölibats. Ich will Sie keineswegs dafür kritisieren, dass Sie Ihre persönliche Freiheit, ohne sexuelle Beziehung zu leben, ausüben.
      Das Problem sind auch nicht die Fälle, in denen jemand das will. Problematisch sind die Fälle, in denen jemand gegen seine persönliche Neigung in seiner Freiheit beschnitten wird ohne dass dies objektiv notwendig ist. Und nun zu sagen, ein katholischer Theologe hätte ja die freie Wahl, etwas anderes zu tun, erscheint gemessen an dem Erwartungsdruck ihm gegenüber eher zynisch.

      Was das Stigma des Kinderschänders angeht hilft vielleicht ein (zugegebenermaßen etwas hinkender) Vergleich, eine Brücke zu schlagen:
      Ich als Deutscher muss mir manchmal heute noch vorwerfen lassen, was "wir Deutschen" im 3. Reich angerichtet haben. Obwohl ich daran nicht beteiligt war und diese Taten vehement verurteile.
      Dabei handelt es sich jedoch nicht um Intoleranz sondern um ein mehr oder weniger begründetes Vorurteil. Und ich kann dem auch nicht begegnen, indem ich jetzt fordere, dass alle anderen ihre aus meiner Sicht uninformierten Meinungen nicht mehr äußern dürfen. Das Beste was ich tun kann ist, mich durch gutes Beispiel zu beweisen.
      Kritik mir gegenüber wäge ich ab, ob sie überhaupt auf mich zutrifft. Wenn sie nicht auf mich zutrifft, dann ignoriere ich sie. Das ist ein wichtiger Mechanismus in unserer freien Gesellschaft für das hohe Gut, welches wir Meinungsfreiheit nennen. Ich werde nicht zu einem Opfer, nur weil jemand seine Meinung kundtut. Einen Schaden habe ich erst dann, wenn ich in meiner Freiheit eingeschränkt werde. Wenn ich jemandem verbiete, seine Meinung kundzutun, dann schränke ich ihn in seiner Freiheit ein. Und diese Freiheit wiegt schwerer als mein Anspruch auf "nicht-beleidigt-werden". Es ist mir zuzumuten, dass ich das einfach ignoriere.
      Das ist so sehr wichtig, um in einer pluralistischen Gesellschaft voller unterschiedlicher Meinungen und Ansichten friedlich zusammenzuleben. Letztlich profitieren wir alle davon, wenn wir die Meinungen anderer tolerieren und gegebenenfalls einfach ignorieren und uns dort, wo wir mit anderen Menschen Konfliktpotenzial haben, auf objektive Abwägungen beziehen anstatt anderen unsere Ansichten unreflektiert aufzuzwingen, nur weil wir gerade eine Mehrheit sind.

      Können Sie es jemandem wie F.M. wirklich übelnehmen, wenn er sich darüber echauffiert, dass Kinder vergewaltigt wurden? Fragen Sie sich: trifft diese Kritik auf mich zu? Natürlich nicht. Es ist nicht gegen Sie gerichtet. Es ist gegen Menschen gerichtet, die Kinder vergewaltigen. Und ich bin mir sicher, dass Sie eigentlich mit F.M. auf der gleichen Seite sind.

      Viele Grüße
      - Robert

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  7. Lieber Robert, mit Ihnen würde ich mich gerne mal bei einer Flasche Rotwein in Ruhe einen Abend lang streiten. Könnte lustig werden. Aber so viel Zeit habe ich jetzt nicht und schriftlich kommt man oft nicht richtig rüber. Deshalb versuche ich mal zusammenzufassen: Worum geht es eigentlich?
    Wir wollen beide, dass man tolerant und respektvoll miteinander umgeht, d.h. auch mit demjenigen, der anders lebt als man selber das tut oder versteht. Richtig?
    Ich finde, diese Toleranz schließt ein, dass man eine solche fremde Lebensform nicht diffamiert oder mit Vorurteilen belegt (Zölibat ist "gefährlicher Unsinn" - so sollte ich mal das Leben eines Transvestiten bezeichnen! Und Thomas Neuwirth mag so schwul sein, wie er will: er muss nicht als Transvestit leben, das hat er sich genau so freiwillig gesucht, wie ich mir meinen Zölibat). Ach so, die Freiwilligkeit: Natürlich wählt jeder den Zölibat freiwillig! Man könnte evangelischer oder altkatholischer Pfarrer werden oder ständiger Diakon. Wer unbedingt röm.kath. Priester werden will, der muss eben zölibatär leben, das gehört zum Paket dazu. Gezwungen wird zu speziell dieser Lebensform niemand. Erwartungsdruck? Heutzutage? Wir stehen alle unter irgendeinem sozialem Druck. Priester zu werden, ist aber doch wohl eher das Letzte, wozu Eltern ihren Sohn im Jahr 2014 drängen.
    Noch zu F.M.: natürlich verstehe ich, wenn Menschen sich über Kindesmissbrauch aufregen, wer tut das nicht? Aber ich habe darüber gschrieben, dass es Priester gibt, die unschuldig sind und trotzdem in Sippenhaft genommen werden - und das ist die Antwort, die meine Aussage prompt bestätigt hat.
    Ich muss jetzt aufhören, denn ich fahre morgen zum Katholikentag. Vielleicht auf später!

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  8. Da hat leider das Missverständnis doch noch zugeschlagen.
    Der Zölibat ist keine menschliche Neigung oder Lebensweise sondern eine willkürliche Regel der Katholischen Kirche. Selbst wenn der Zölibat abgeschafft werden würde, würde das Ihre persönliche Freiheit bzw. Ihre Lebensweise, ohne sexuelle Beziehung zu leben, in keiner Weise berühren. Und wie Papst Franziskus kürzlich erst ausdrückte, hält er ein solches Umdenken in Zukunft durchaus für möglich. (Quelle: http://goo.gl/yExwwt)

    Ich will, dass wir tolerant miteinander umgehen, ja. Aber ich will nicht, dass wir per se respektvoll miteinander umgehen. Respekt muss in jedem Einzelfall individuell verdient sein, sonst handelt es sich nicht um Respekt sondern um eine wertlose Farce. Wenn ich jemanden immer lobe, egal was er tut, dann ist mein Lob nichts wert. Die Toleranz von Respektlosigkeit ist das wichtigste Mittel des interkulturellen Friedens. Nicht, weil Respektlosigkeit besonders nett wäre, sondern weil sie ehrlich ist und unser aller Freiheit sichert.

    Wenn man etwas kritisiert, dann richtet sich diese Kritik immer nur gegen derjenigen, der etwas daran ändern kann. Das ist eine gute Regel um herauszufinden, ob man eine Kritik persönlich nehmen sollte. Probieren Sie es einmal aus. Wenn jemand den Zölibat kritisiert, dann kann diese Kritik aktuell nur gegen den Vatikan bzw. den Papst gerichtet sein und nicht gegen Sie, denn Sie können nichts daran ändern.

    Ein römisch katholischer Theologe hat eben nicht die Wahl, auf evangelisch oder altkatholisch umzusatteln, wenn er es mit seinem Vertrauen in den Papst ernst meint. Darüberhinaus sind meist nicht werdende Priester sondern altgediente katholische Priester betroffen, die später in ihrer Laufbahn ihre sexuelle bzw. partnerschaftliche Leidenschaft entdecken. Das zeigte sich auch durch den letztlichen Apell von Priestergeliebten an den Papst (Quelle: http://goo.gl/uX09OR). Diese Priester werden zu einer Entscheidung gezwungen zwischen einer lebenslangen Lüge oder dem Ende ihrer Karriere und ihres Wirkens als Priester. Und das alles nur wegen einer willkürlichen Regel? Das können und dürfen wir als empathiefähige Wesen nicht tolerieren und das ist zu bekämpfen. Und Sie sollten sich noch mal überlegen, ob es Ihre Freiheit wirklich einschränkt, wenn diese Priester endlich die Freiheit erhalten, ihrem Wesen entsprechend in der Öffentlichkeit leben zu können. Ich bin mir sicher, dass Sie zu dem richtigen Schluss kommen werden.

    Grüße und viel Freude am Katholikentag
    - Robert

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